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Neo-Kantianism as an Entanglement of Intellectual Cultures in Central and Eastern Europe (Germany, Poland, and Russia)

Berlin, 23 - 25 May 2019

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Ziel des Workshops ist es, den Neukantianismus im Rahmen einer Verflechtungsgeschichte von Wissenskulturen Mittel- und Osteuropas (Mrugalski et al. 2019) zu positionieren, d.h. ihn als ein transkulturelles und interdisziplinäres Phänomen zu erschließen. Der Ansatz des Theorie- und Kulturtransfers (Espagne 1999, Sériot 2012) für den Neukantianismus ist deshalb so lohnend, weil sein Einfluss gerade in Mittel- und Osteuropa dort besonders stark war, wo er die Grenzen der Universitätsphilosophie überschritt und in Felder wie der politischen Theorie und Praxis (Cohen, Bogdanov, Novgorodcev, Lappo-Danilevskij, Petrażycki) oder der Ästhetik (Sakketti, Sezeman) aktiv wurde.

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Die Verflechtungsgeschichte des Neukantianismus in Ostmitteleuropa freizulegen, ist insofern instruktiv, als dass jener Ansatz zu einer Re-Evaluation des Neukantianismus für die Kulturwissenschaften führen könnte. Obwohl die Rolle des Neukantianismus für die Entstehung der Kulturwissenschaften resp. Kulturphilosophie um 1900 oft betont (Krijnen/Ferrari 2014), ja der Neukantianismus als Wurzel der Kulturwissenschaften hervorgehoben wird (vor allem durch G. Simmel oder E. Cassirer; vgl. Šuber 2002; Orth 2004, Raulet 2005), hat man zuweilen der Eindruck, dass die Kulturwissenschaften trotz und nicht aus dem Neukantianismus entstanden sind (vgl. Recki 2011). Damit wird der Blick darauf verstellt, dass die (Krypto)Rezeption des Neukantianismus – mitunter als ost- und mitteleuropäischer Re-Import – das ganze 20. Jahrhundert mitbestimmte; so etwa die (postume) Polemik zwischen Lukács und Bachtin in den Kulturwissenschaften, deren neukantianischen Bezüge und Grundlagen Tihanov in einer Monographie freigelegt hat (Tihanov 2002).         

Die Grundlegung der Kulturwissenschaften führe der Neukantianismus in Kontrast zu den und in Bezug auf die Naturwissenschaften. Gegenwärtig werden immer häufiger – zum Beispiel in den Digital Humanities oder aber in der second-generation cognitive science – Versuche unternommen, die Relationen zwischen den Geistes- und den „exakten“ Wissenschaften neu zu bestimmen. Dementsprechend strebt das als eine Fortsetzung des Workshops geplante DFG-Projekt an, den historischen Neukantianismus an der aktuell im Werden begriffenen Schnittstelle von Natur- und Geisteswissenschaften – Digital Humanities – zu positionieren, damit sein Verflechtungs- und Vorbildscharakter für die zeitgenössischen Kulturwissenschaften deutlicher wird.

Vor allem auf dem Gebiet der Literatur(theorie) war die Wirkung des Neukantianismus auf die Kulturwissenschaften nachhaltig: Neben der direkten Rezeption etwa bei Belyj und Pasternak (Lavrov 1994; Zehnder 2015) erwiesen sich (neu-)kantianistische Postulate wie Autonomie, Interesselosigkeit, Primat der Konstruktion über das Objekt etc. im Symbolismus und Postsymbolismus und der Avantgarde als besonders relevant. So konstatierte bereits der polnische Formalist Dawid Hopensztand, dass der gesamten europäischen Avantgarde und dem russischen Formalismus als ihrem theoretischen Flügel das neukantianische Prinzip vom Vorrangs der transzendentalen Synthese gegenüber dem Material zugrunde liege (Hopensztand 1938).        

Zahlreiche Arbeiten über den Neukantianismus in Russland und Polen wie Bezrodnyj (1992), Dmitrieva (1999, 2007, 2009), Mačkarina (2007), Grifcеva/Dmitrieva (2010) Belov (2013), Brjušnikin (2013), Kubalica/Nachtsheim (2015) berücksichtigen zwar relevante Einzelprobleme, verbleiben aber zu oft im Rahmen der traditionellen Philosophie- bzw. Ideengeschichte, ohne auf verflechtungstheoretische Forschung explizit Bezug zu nehmen.

Im Gegensatz zu der bisherigen Forschung besteht das innovative Potential der Tagung darin, konsequent die Kulturtransfertheorie auf den Neukantianismus anzuwenden. Darüber hinaus soll die Tagung, resp. das daraus entstehende Projekt, sich nicht nur auf theoretische Rekonstruktion des Neukantianismus zwischen den Disziplinen stützen, sondern auch die Analysewerkzeuge der Digital Humanities wie Korpusanalyse oder die Visualisierungen von Netzwerken (Briefwechsel, Zitationen, etc.) anwenden.