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217453

(1990) Soziologische Aufklärung 5, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Ich sehe was, was Du nicht siehst

Niklas Luhmann

pp. 228-234

Das Thema dieser Konferenz, die Aktualität der Frankfurter Schule, wird von den meisten Teilnehmern als Aufforderung verstanden, die Texte dieser Schule zu sezieren — ob nun am lebenden oder am bereits toten Körper. Das Recht zu einem solchen Vorgehen soll in keiner Weise, weder direkt noch indirekt, bestritten werden. Meinem Beitrag liegt jedoch ein anderer Zugang zum Thema zugrunde. Mein Eindruck ist, daß europäische Denkgewohnheiten in viel radikalerer Weise auf den Prüfstand gehören als nur in der Form, die in Frankfurt einen sehr speziellen Ausdruck gefunden hat. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß weder in Frankfurt noch sonstwo ein auch nur einigermaßen adäquates Verständnis der modernen Gesellschaft erarbeitet worden ist, und dies könnte an gewissen alt- oder neueuropäischen Traditionsüberhängen liegen, die auch dann noch wirken, wenn man aus einer Position der "Gesellschaftskritik" heraus formuliert. Vor allem die übliche akademische Erkenntnistheorie und ebenso das, was man seit etwa zwei Dekaden unter dem Namen "Praxis' wiederentdeckt hat, teilen mit der europäischen Tradition wichtige Prämissen. Man mag sich, besonders in Frankfurt, kritisch bis verzweifelt gebärden; aber das könnte nur ein Symptom dafür sein, daß radikalere Eingriffe in das überkommene Denken erforderlich sind. Mit einer bloßen Kommentierung des Denkens, das als "Frankfurter Schule" firmiert, würde man möglicherweise die Ebene verfehlen, auf der heute eine Kritik anzusetzen ist. Ich beginne deshalb mit einer Kritik der ontologischen Erkenntnisvoraussetzungen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-97005-3_11

Full citation:

Luhmann, N. (1990). Ich sehe was, was Du nicht siehst, in Soziologische Aufklärung 5, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 228-234.

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